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Kastration – Wenn die Hormone verrückt spielen

Gesundheitliche und Verhaltensprobleme eines Rüden lassen viele Hundebesitzer mit dem Gedanken spielen, Ihren Hund kastrieren zu lassen. Warum aber wird die Diskussion „Kastration: ja oder nein“ häufig sehr kontrovers geführt und gibt es Alternativen zur chirurgischen Kastration? Diese gibt es, aber dazu später.

Medizinische Gründe für eine Kastration wie die gutartige Prostatavergrößerung oder andere Hormon- (Testosteron) abhängige Erkrankungen des Rüden lassen sich leicht erklären und sind selten Gegenstand einer kontroversen Diskussion.

Die Kastration zur Therapie von Verhaltensproblemen beim Rüden löst in der Regel widersprüchliche und emotionale Reaktionen aus. Wo aber liegt nun das Pro und Contra einer Rüdenkastration zur Lösung von Verhaltensproblemen?

Es scheint, dass wir uns mit unseren Hunden sehr viel mehr persönlich identifizieren, als mit anderen Haustieren. So werden die Vor- und Nachteile einer Kastration beim Kater, Hengst oder den landwirtschaftichen Nutztieren rational abgewogen; beim Hund verläuft die Diskussion mehr emotional.

Was bewirkt nun die Kastration wirklich im Verhaltensbereich des Rüden?

Zunächst einmal werden die Probleme, die direkt aus testosteronabhängigen Verhaltensweisen entstehen, reduziert. Dazu zählen beim erwachsenen Rüden das Urinmarkieren im Haus, Unruhe, häufiges Jaulen, übertriebenes Imponiergehabe und aggressives Konkurrenzverhalten gegenüber anderen Rüden und das Streunen auf der Suche nach einer läufigen Hündin.

Die weit verbreitete Meinung, dass Rüden durch die Kastration ruhiger werden, ist in der Regel nicht richtig. Kastrierte Rüden neigen zwar eher zum Fettansatz und ab einem gewissen Übergewicht auch zu einem entsprechenden Phlegma, aber dieses Problem ließe sich durch eine adäquate Fütterung vermeiden. Die Reduktion des Testosterons an sich hat keine Auswirkung auf das Temperament und den Bewegungsdrang der Hunde.

Männliche Tiere sind bei den meisten Tierarten aggressiver als weibliche – so auch beim Hund. Trotzdem wird die Aggressionsbereitschaft nach einer Kastration nur das sexuelle Konkurrenzverhalten gegenüber anderen Rüden beeinflussen. Rüden, die sich aggressiv gegenüber Hunden beiderlei Geschlechts oder gegenüber dem Menschen zeigen ist eine Verhaltensänderung nach Kastration nicht zu erwarten.

Bei Rangordnungsproblemen zwischen zwei gleichstarken Rüden im selben Haushalt ist die Kastration des tendenziell weniger durchsetzungsfähigen Rüden manchmal die einzige Möglichkeit den Hausfrieden wieder herzustellen. Aber Vorsicht: Kastriert man den falschen Rüden, werden die Auseinandersetzungen noch stärker. Obwohl Rangordnungsprobleme zwischen Mensch und Hund wesentlich häufiger mit Rüden entstehen als mit Hündinnen, stellt die Kastration hierfür kein Allheilmittel dar. Übrigens auch dann nicht, wenn die Kastration vor der Pubertät durchgeführt wird. Die Tendenz zu sozial-dominantem Verhalten beim Rüden ist zum Teil genetisch bedingt. Entsprechende Verhaltensmuster lassen sich häufig schon im frühen Welpenalter beobachten. Viel wichtiger bei Rangordnungsproblemen zwischen Hund und Herrchen/Frauchen sind die Fehler, die der Mensch häufig von Anfang an im Umgang mit den Hunden macht. Bei nur einem kleinen Teil der Rangordnungsprobleme ist die Kastration als unterstützende Maßnahme sinnvoll. Wichtiger ist es sich in diesen Fällen um professionelle Hilfe bei der Entscheidungsfindung zu bemühen.
Das ständige Aufreiten beim Menschen, das einige Rüden im Laufe ihrer Pubertät entwickeln, ist häufig – aber nicht immer – durch eine Kastration zu beseitigen. Der hormonelle Anteil am Ursachenkomplex ist hier nur einer von vielen Faktoren.

Die Ausprägung vieler geschlechtsspezifischer Verhaltensmuster auf das Gehirn finden schon in der vorgeburtlichen Entwicklungsphase statt. Der aktuelle Testosteronspiegel ist nur in wenigen Verhaltensbereichen entscheidend. Andererseits wirkt sich der soziale Erfolg deutlich auf die Hormonproduktion aus. Beim Sieger einer sozialen Auseinandersetzung steigt der Testosterongehalt an. Der Hormonspiegel ist damit aber nicht Ursache, sondern Folge des sozialen Aufstiegs.
Nach einer Kastration sinkt der Testosterongehalt innerhalb weniger Stunden auf nicht mehr messbare Werte ab. Eine gewünschte Verhaltensänderung ist aber erst im Verlauf von Wochen oder gar Monaten zu beobachten. Offensichtlich spielen hier genetische und erlernte Effekte eine wichtige Rolle.

In Zweifelsfällen lässt sich die Wirkung einer Kastration durch Antihormonelle Medikamente weitgehend imitieren. Hierzu injiziert ein Tierarzt ein ca. reiskorngoßes Implantat. Dieses gibt ca. 6 Monate lang einen Wirkstoff ab, der verhindert, dass körpereigene Botenstoffe zur Produktion von Testosteron im Hoden freigesetzt werden. So sinken nach ca. zwei bis drei Wochen die Testosteronwerte im Blut auf ein gleichniedriges Niveau wie nach einer Kastration ab.
Der Rüde ist dann nach ca. 6 Wochen nach Implantation für einen begrenzten Zeitraum von ca. 5–6 Monaten fortpflanzungsunfähig.

Das antihormonelle Implantat kann auch dazu herangezogen werden, um die Wirkung einer Kastration auf unerwünschtes Verhalten abschätzen zu können. Sei es auch nur, um überzeugten Kastrationsgegnern zu beweisen, dass der kastrierte Rüde weder Jagdtrieb noch sein Schutzverhalten einbüßt und sich auf der Hundewiese nicht von jedem Yorkshire-Terrier dominieren lässt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kastration des Rüden neben der Therapie hormonell bedingter Erkrankungen und dem Wunsch nach Unfruchtbarkeit auch unter Umständen ein Lösungsansatz zur Beseitigung von geschlechtsspezifischen Verhaltensproblemen darstellt. Dieses ist aber in der Regel nur als unterstützende Maßnahme im Rahmen einer Verhaltenstherapie sinnvoll.